Schriftliche Sprache und Lesen: umfassender Leitfaden für Sprachtherapeuten
Das Erlernen der schriftlichen Sprache ist eine wichtige Herausforderung in der Schulzeit. Es basiert auf vorhergehenden mündlichen Sprachfähigkeiten und erfordert spezifische Mechanismen. Störungen der schriftlichen Sprache (Dyslexie, Dysorthographie) betreffen 5 bis 10 % der Kinder. Dieser Leitfaden stellt die Leseprozesse, mögliche Schwierigkeiten und Strategien der sprachtherapeutischen Intervention vor.
📖 Ressourcen für die schriftliche Sprache
Leseübungen, phonologische Bewusstheit, angepasste Texte
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Voraussetzungen für das Lesenlernen
Bevor ein Kind lesen lernt, muss es bestimmte grundlegende Fähigkeiten entwickelt haben:
- Mündliche Sprache: Wortschatz, Syntax, Hörverständnis
- Phonologische Bewusstheit: Fähigkeit, die Laute der Sprache zu manipulieren (Silben, Reime, Phoneme)
- Buchstabenkenntnis: Namen und Laute der Buchstaben
- Alphabetisches Prinzip: verstehen, dass Buchstaben Laute repräsentieren
- Visuelle Fähigkeiten: Diskrimination, Orientierung, visuelles Gedächtnis
- Aufmerksamkeit und Arbeitsgedächtnis
💡 Phonologische Bewusstheit: Schlüssel zum Lesen
Die phonologische Bewusstheit ist der beste Prädiktor für den Erfolg beim Lesen. Ein Kind, das die Laute, aus denen Wörter bestehen, nicht wahrnimmt, wird Schwierigkeiten haben, sie mit den Buchstaben zu verbinden. Die phonologische Bewusstheit im Kindergarten zu fördern, ist entscheidend.
Die Leseprozesse
Zwei Lesewege
Das Dual-Route-Modell beschreibt zwei Verfahren zum Lesen:
| Weg | Mechanismus | Verwendet für |
|---|---|---|
| Zusammenbauweg (phonologisch) | Graphem-Phonem-Konversion: man dekodiert Buchstabe für Buchstabe | Neue Wörter, Pseudowörter, regelmäßige Wörter |
| Adressierungsweg (lexikalisch) | Globale Erkennung: man erkennt das im Gedächtnis gespeicherte Wort | Häufige Wörter, unregelmäßige Wörter (Frau, Zwiebel) |
Der erfahrene Leser nutzt beide Wege flexibel, je nach den begegneten Wörtern.
Lernphasen
- Logographische Phase: das Kind erkennt einige Wörter insgesamt (seinen Namen, Logos)
- Alphabetische Phase: es lernt zu dekodieren, Graphem-Phonem-Zuordnungen
- Orthographische Phase: es erkennt zunehmend mehr Wörter insgesamt
Leseprobleme
Dyslexie
Eine spezifische Lernstörung beim Lesen, neurobiologischen Ursprungs, die trotz angemessener Anleitung bestehen bleibt. Man unterscheidet:
- Phonologische Dyslexie: Beeinträchtigung des Zusammenbauwegs (Schwierigkeiten mit Pseudowörtern)
- Oberflächen-Dyslexie: Beeinträchtigung des Adressierungswegs (Schwierigkeiten mit unregelmäßigen Wörtern)
- Gemischte Dyslexie: beide Wege betroffen
Warnsignale
- Persistierende Schwierigkeiten mit der phonologischen Bewusstheit im Kindergarten
- Schwierigkeiten beim Erlernen der Buchstaben
- Langsame und mühsame Leseleistung nach der ersten Klasse
- Zahlreiche Lesefehler (Verwechslungen, Umstellungen, Auslassungen)
- Schwierigkeiten beim Verstehen des Gelesenen
- Vermeidung des Lesens
Sprachtherapeutische Bewertung
- Phonologische Bewusstheit: Silben, Reime, Phoneme
- Lesen: regelmäßige Wörter, unregelmäßige Wörter, Pseudowörter, Texte
- Genauigkeit und Geschwindigkeit (Flüssigkeit)
- Schriftliches Verständnis
- Rechtschreibung
- Mündliche Sprache: die Basis der schriftlichen Sprache
Sprachtherapeutische Intervention
Prinzipien
- Frühzeitig: bei den ersten Anzeichen von Schwierigkeiten
- Intensiv: mehrere Sitzungen pro Woche zu Beginn
- Strukturiert: logischer, expliziter Fortschritt
- Multimodal: visuell, auditiv, kinästhetisch
Arbeitsachsen
- Phonologische Bewusstheit: Manipulation der Laute
- Graphem-Phonem-Zuordnungen: explizites und schrittweises Lernen
- Flüssigkeit: wiederholtes, zeitlich gemessenes Lesen
- Verstehen: Strategien zum Verstehen
- Rechtschreibung: parallel zum Lesen
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Häufig gestellte Fragen
Die Diagnose Dyslexie wird in der Regel erst nach 18 Monaten formalen Leselernens (Ende der zweiten Klasse) gestellt. Davor spricht man von einem Rückstand oder Lernschwierigkeiten. Dennoch sind Schwierigkeiten mit der phonologischen Bewusstheit im Kindergarten ernstzunehmende Warnsignale, die eine präventive Intervention rechtfertigen.
Dyslexie ist eine anhaltende Störung: sie "heilt" nicht. Mit einer angemessenen Rehabilitation und Anpassungen können dyslexische Personen jedoch lernen, zu lesen und zu schreiben, Kompensationsstrategien entwickeln und ihren schulischen und beruflichen Werdegang erfolgreich gestalten. Das Lesen kann langsamer und mühsamer bleiben, aber funktional sein.
Ja, aber auf angepasste Weise. Training ist notwendig, um Fortschritte zu erzielen. Bevorzugen Sie Texte auf seinem Niveau (nicht zu schwierig), kurze und regelmäßige Sitzungen und würdigen Sie die Fortschritte. Vermeiden Sie es, es vor anderen laut lesen zu lassen, wenn es Schwierigkeiten hat. Wichtig ist, den Spaß und die Motivation aufrechtzuerhalten.
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